22.10.2018 – geheimnisvolle Düfte und Gebete zu Allah (Teheran 4)

Es ist 20 Uhr, und wir sind uns einig, dass wir einen Kaffee brauchen. Maryam lenkt ihr Fahrzeug in ein Parkhaus. Während sie versucht, es in eine enge Lücke zu rangieren, wird sie von einem zuständigen Angestellten gestoppt. Er fordert sie auf, hinter ihm her zu fahren. Er führt sie nicht nur zu einem größeren Platz, sondern weist sie mit energischen Armbewegungen hinein. Welch ein Gratisservice! Der Fahrstuhl befördert uns in ein supermodernes Einkaufscenter, wo wir unsere Kaffeegelüste stillen.Die Stadt erstrahlt im farbenfrohen Licht, das die abendliche Dunkelheit verjagt. Das Leben tobt auf ihren Straßen.
Wir sind zwar auf dem Rückweg, doch das Sightseeing ist nicht beendet. Maryam stellt ihr Auto am Straßenrand ab. Sie möchte mit uns zum Tajrish Bazaar. Noch im Fahrzeug empfiehlt sie mir, die Tasche festzuhalten, weil sie gestohlen werden könnte. Ich stecke sie unter die Jacke.
Die Verkaufsflächen sind bunt. Ein Stand reiht sich an den anderen, ein Geschäft an das andere. Quirliges Treiben. Betörende Düfte von gegrilltem Mais und roten Beeteknollen dringen in die Nase. Es riecht nach Tee, Rosen und orientalischen Kräutern. Händler rufen laut ihre Waren aus, aber sie bedrängen die Besucher nicht. Trockenfrüchte laden mit ihrer leckeren und farbenfrohen Zurschaustellung zum Kaufen ein. Jede Menge Nüsse, Pistazien, unbekannte Früchte, … der Safran leuchtet aufreizend orange, Fladenbrote in überdimensionalen Größen, Schmuck, Spielzeug, Stoffe, Erzeugnisse des alltäglichen Bedarfs …, es gibt nichts, was es nicht gibt. So ist der Eindruck. Ohne meine Begleiter würde ich mich verlaufen. Trotz des Gedränges schwebe ich auf Wolke Sieben.
In unmittelbarer Nähe des Bazars befindet sich die Imamzadeh Saleh Moschee. Am Eingang reicht mir eine freundliche Angestellte ein sauberes, zusammengefaltetes Tuch, das mir Maryam mit geübter Hand um die Haare und um den Körper legt. Unvermittelt stecke ich in einem Tschador, der zwar nicht schwarz ist, dafür aber wie ein Bettuch wirkt. Vorher haben wir die Schuhe ausziehen müssen. Kaum laufe ich einige Schritte, ist die ganze Pracht verrutscht. Ich kämpfe mit der Ganzkörperverhüllung, die sich vorn öffnen und mir permanent vom Kopf rutschen will. Doch schnell werde ich abgelenkt. Wir betreten den Teil der Moschee, der den weiblichen Besuchern vorbehalten ist. Die Männer beten in einem anderen Raum.Spiegelmosaike funkeln uns aus allen Richtungen entgegen. Bleikristallleuchter spenden Licht. Frauen sitzen auf Teppichen, den Rücken an die Wand gelehnt. Sie flüstern  miteinander oder sind in tiefer Meditation versunken. Ich wandle über die weichen Teppiche und staune. Solch eine Umgebung ist mir neu.
Wir kommen an einen grünen, reich verzierten Schrein vorbei. Davor lehnen Betende ihre Stirn an das Gitter, das ihn umgibt, und beten. Hier sind die Überreste von Imamzadeh Saleh beerdigt, einem Nachkommen der Zwölferschiiten. Er wurde ermordet. Der Geistliche soll besondere Energien besessen haben, die bis in die Gegenwart wirken. Damit könne er die Gebete direkt und schneller zu Gott weiterleiten. Auch von wundersamen Heilungen wird berichtet. Die Moschee ist eine wichtige Pilgerstätte. Normalerweise soll es in ihr so voll sein, dass den Besuchern nur zwei Minuten zugestanden werden, um zu beten. Es ist ein Rätsel, wie sie sich in so kurzer Zeit besinnen und Gebete zum Himmel schicken können. Momentan ist es 21 Uhr, und im Inneren halten sich nur wenig Frauen auf.
Beim Hinausgehen fragen wir eine Aufsichtsperson, ob wir Fotografieren dürfen. Wir dürfen, aber nur von der Zugangstür aus.
Im Hof des Heiligtums befinden sich Gräber von Märtyrern, die im Iran-Irak-Krieg ihr Leben lassen mussten.
Am Ausgang verteilt ein Geistlicher Bonbons. Ich nehme bescheiden eins, während Myriam eine ganze Handvoll in ihre Manteltasche befördert. Einige Schritte weiter bekomme ich zum dritten Mal für den heutigen Tag zu hören, dass sich die Toten freuen, wenn wir in ihrem Gedenken viel essen. Daher werden vor der Moschee Süßigkeiten verschenkt.
Meine anfängliche Verstörung über Teheran (ewiger Stau im Wahnsinnsverkehr, Lärm und schlechte Luft) ist verdrängt. Mir gefällt die Stadt. Sie ist eine Reise wert.
© Brigitte Voß

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